Kun, die Erde

Wofür steht Kun?

Um Kun zu beschreiben könnte man das folgende Bild wählen: Ackerboden, in dem ein Sämling wächst. In diesem Bild repräsentiert Ackerboden unstrukturierte Materie; der Sämling findet im Ackerboden alles, was er zum Wachstum braucht; und abgestorbene Pflanzenteile verwesen wiederum zu Ackerboden.

Kun geht in seiner Bedeutung jedoch über unstrukturierte Materie (wie den Ackerboden) hinaus: Kun ist unstrukturiertes Potential an sich, es umfasst also materielle und nicht-materielle Möglichkeiten. Damit steht Kun für eine unstrukturierte Quelle der Kraft, mit der wir uns verbinden können. Als wären wir eine Welle, die tief in den Ozean zurückrollt, an ihren Ursprung, um uns dort zu konzentrieren und neue Kraft zu schöpfen…

Ruhig werden und die Impulse aus unserem Inneren spüren

… um dann, wenn wir ganz aufgeladen und voller Kraft sind, die Impulse wirken zu lassen, die aus unserem Inneren aufsteigen. Impulse, die erst dann für uns spürbar werden, wenn wir ganz ruhig geworden sind, wenn wir ganz bei uns selbst angekommen sind.

Diese Impulse aus unserem Inneren ähneln dabei dem Wachstumsimpuls des Sämlings: Dieser trägt nämlich bereits als ungekeimter Same ein Bild in sich angelegt, das Bild der vollständig ausgewachsenen Pflanze. Und dies – ein Bild in sich zu tragen – wiederum bedeutet, dass das Keimen des Sämlings nicht ins Ungewisse hinein geschieht. Sondern es folgt einem vorgezeichneten Weg. Einem Weg, der sich beim Gehen erschließt und den Umgebungsbedingungen anpasst, Schritt für Schritt, Tag für Tag, Jahr um Jahr.

Auch wir tragen ein derartiges Bild in uns – das wir im Alltagstrubel aber leider nur allzuleicht aus dem Blick verlieren. Doch der Kontakt zu unserem inneren Bild, zu den Impulsen aus dem eigen Inneren, ist wichtig: Sie geben uns Orientierung. Sie weisen uns den Weg. Den Weg, zum Ziel, zu unserem Ziel.

Entsprechend der Reihenfolge des späteren Himmels ist Kun mit den Funktionskreisen Magen / Milz-Pankreas (MP) assoziiert. Die Analogie zum unstrukturiertem Potential von Kun erschließt sich, wenn man bedenkt, dass unsere Verdauungsprozesse ähnlichen Prinzipien wie die Umwandlungsprozesse im Ackerboden folgen.
Die entsprechenden Zitate sind hier zu finden: Wandlungsphase Erde: Magen / Milz-Pankreas

Dem Weg der Wandlungen folgen: Spüren und Vertrauen

Kun ist einer der Ruhepunkte im Modell Dem Weg der Wandlungen folgen. Idealerweise sind wir jetzt und hier ganz bei uns selbst angekommen, haben in uns selbst Frieden gefunden. Und wir haben sowohl bewusste wie auch (ehemals) verdrängte Anteile bestmöglich integriert, sodass wir heute aus ihnen schöpfen können.

Im Sinne einer Selbsterkundung geht es bei Kun folglich um unser Selbstverhältnis, um unsere Begegnung mit uns selbst. Dies umfasst einerseits das Hineinspüren und Erforschen, wer wir wirklich (!) sind, andererseits das Vertrauen in den Lauf der Dinge.

Fragen, die man in diesem Sinne stellen könnte, umfassen beispielsweise:

  • Wie geht es mir – wie fühle ich mich mit mir selbst?
  • Stehe ich zu bzw. hinter mir selbst? Kann ich mich in meinem So-Sein annehmen und mich auf mich selbst einlassen?
  • Bin ich im Frieden mit mir selbst? Kann ich auch die Teile von mir akzeptieren, die mir, oberflächlich betrachtet, an mir selbst weniger sympathisch sind?
  • Was erwarte ich, wenn ich einmal nichts tue – nicht kontrolliere, nichts initiiere, nicht eingreife -, sondern tatsächlich: die Dinge einfach nur geschehen lasse? Was spüre ich, wenn ich mir das vorstelle? Dass ich geborgen bin und alles gut gehen wird? Oder dass mein Untätig-Sein Gefahr birgt?

Woraus entwickelt sich Kun?

kun_entwicklung

Bei den Wandlungen innerhalb eines Hexagramms bildet Kun insofern eine Ausnahme, als es nur aus einem einzigen Trigramm hervorgehen kann: Wenn Zhen eine (durchbrochene) Yin-Linie hinzugefügt wird, entsteht daraus Kun (dunkler Pfeil; yin steht für Empfänglichkeit).

Kun entwickelt sich aus Zhen, der Donner

Zhen, der Donner symbolisiert den Urkeim einer neuen Handlung, den erste Schritt in eine neue Richtung. Mit Kun als nachfolgendem Zeichen trifft dieser Impuls auf unstrukturiertes Potential: fruchtbaren Grund, aus dem alles erwachsen kann.

Beispiele für Hexagramme, bei denen sich Kun aus Zhen entwickelt, finden Sie → hier.

Wohin entwickelt sich Kun?

kun_entwicklung

Auch hier bildet Kun eine Ausnahme: Kun kann sich lediglich zu einem einzigen Trigramm weiterentwicklen. Gen entsteht, indem oben eine (durchgezogene) Yang-Linie angefügt wird (roter Pfeil; Yang symbolisiert Tatkraft, Aktivität).

Kun entwickelt sich zu Gen, der Berg

Durch das Annehmen und Geschehen lassen (Kun) ist aus unstrukturiertem Potential Konkretes entstanden. Möglicherweise sind uns bei diesem Prozess Dinge aufgefallen, die überflüssigen Ballast darstellen und unser Fortkommen erschweren. Wenn Gen, der Berg sich aus Kun heraus entwickelt, können wir überflüssigen Ballast vertrauensvoll loslassen. Und die Schwerkraft der Erde wirken lassen: So befreien wir nicht nur Muskeln und Sehnen, sondern unser gesamtes Wesen.

Beispiele für Hexagramme, bei denen sich Kun zu Gen entwickelt, finden Sie → hier.

Referenz

Wandlungsphase (Element): Erde
Funktionskreis: Magen / Milz-Pankreas

Moderne Deutung

Das, was hier und jetzt ist, annehmen; Frieden, Stabilität, in sich ruhen, gestützt und gehalten sein; sich Dinge nutzbar machen; Bindungsfähigkeit und Hingabe; Selbstwertgefühl; Mitgefühl

Traditionelle Deutung

Empfangend, sich hingebend, offen, formbar, dunkel, nährend, weich, anpassungsfähig, das gegebene annehmend, fruchtbar
Richtung: nach unten
Interpretation: höchstes Materieprinzip; ein unstrukturiertes, weites Feld für Einwirkung

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