Wofür steht Dui?
Dui steht für Öffnung: für Kontaktaufnahme, für Ausdruck und Eindruck, für Berührung. Dui lässt uns unsere Grenzen öffnen, sie überschreiten, und zwar auf zweierlei Weise: Zum einen, indem wir uns dem Außen, unserer Umwelt öffnen, uns inspirieren lassen und schließlich das, was uns auf diese Weise begegnet, annehmen und integrieren. Zum anderen, indem wir unser Inneres nach Außen hin ausdrücken, uns der Welt geben und in ihr lebendig werden.
Den eigenen gesunden Rhythmus finden
Beide Bewegungen, die eine, die nach innen führt und die andere, die nach außen führt, sind eng miteinander verwoben. Sie sind aufeinander verwiesen und bedingen einander, wie beim Rhythmus unseres Atems. Ausschließlich einzuatmen und aufzunehmen ist genauso unmöglich wie nur noch auszuatmen, nur noch aus sich schöpfend zu geben. Einwärts und auswärts, beide Bewegungen sollten einander entsprechen, in etwa gleich umfangreich bzw. stark sein, weil wir sonst in Bedrängnis kommen.
Den Rhythmus, der uns gut tut, unseren eigenen, gesunden Rhythmus, müssen wir selbst für uns finden. Und das ist eine Herausforderung, denn die Welt folgt ihrem Rhythmus: Manchmal bestürmt sie uns, manchmal schweigt sie. Wie kann ich dem gegenüber mein Gleichgewicht bewahren?
Uns selbst in der Berührung erfahren
Noch ein weiterer Aspekt wird im rhythmischen Überschreiten der Grenze angesprochen: Begegnung und Berührung. Denn im Austausch begegnen wir dem was-wir-nicht-sind. Wir sind auf dieses Andere verwiesen, die Welt, das Gegenüber, das Du, denn all das hat das Potential, uns zu inspirieren, zu nähren, zu fördern. Oder auch überfordern, bedrängen, nahezu ersticken.
In Dui öffnen wir also unsere Grenze und lassen uns berühren. Und haben damit die Chance, in dieser Berührung unsere eigene Grenze wahrzunehmen, uns selbst zu spüren. In der Berührung, in der Begegnung in der Erfahrung dessen, was-wir-nicht-sind, durch den Kontrast des Fremden.
In der Reihenfolge des späteren Himmels wird Dui dem Funktionskreis Lunge (Lu) zugeordnet. In den Klassikern der Traditionellen Chinesischen Medizin finden sich verschiedene Beschreibungen, die die Eigenschaften und besonderen Fähigkeiten des Funktionskreises greifbar werden lassen: Wandlungsphase Metal: Lunge
Dem Weg der Wandlungen folgen: Meine Grenze wahrnehmen
Im Modell Dem Weg der Wandlungen folgen gehört Dui zu den dynamischen Wegmarken. Bei Dui entsteht die Bewegung dadurch, dass auf reines Yang (zwei (Sun) bzw. drei (Qian) Yang Linien) eine sich öffnende Yin Linie folgt. Damit hat das reine Yang die Möglichkeit, in die Welt zu treten und sich zu erproben.
Fragen im Sinne einer Selbsterkundung könnten folgendermaßen lauten:
- Bin ich mir der Grenze bewusst? Der Grenze zwischen mir und dir? Wo genau verläuft sie?
- Spüre ich mich auch in deiner Gegenwart? In welchem Moment beginne ich mich zu verlieren?
- Bin ich mit meiner Öffnung im Gleichgewicht, halten sich bei mir das Annehmen und das Geben die Waage? Oder tendiere ich zu einer Seite, ist da ein Ungleichgewicht?
- Wie ist das Ungleichgewicht zwischen Geben und Nehmen bei mir beschaffen? Bei welchen Gelegenheiten wird es besonders stark? Wann bzw. woran bemerke ich dieses Ungleichgewicht?
Woraus entwickelt sich Dui?
Innerhalb eines Hexagramms entwickelt sich Dui entweder aus Sun oder aus Qian (Ausnahme: das Hexagramm beginnt mit Dui / Dui ist unteres Trigramm). Dunkle Pfeile deuteten an, dass den vorangegangenen Zeichen oben jeweils eine (durchbrochene) Yin-Linie hinzugefügt wird. Yin symbolisiert Empfänglichkeit. Diese Empfänglichkeit lässt uns in Dui die Grenzen unseres Selbst öffnen.
Dui entwickelt sich aus Sun, der Wind / Baum
Sun, der Wind / Baum, steht für kraftvolles, gleichmäßiges Wachstum. Dui repräsentiert Öffnung: vom Innen ins Außen und vom Außen ins Innen. Das kraftvolle, gleichmäßiges Wachstum (Sun) aus unserem Inneren heraus, begegnet in Dui der äußeren Welt. Das, was sich bisher tief in uns geborgen entwickelt hat, nimmt nun Kontakt auf und wird für alle sichtbar. Es berührt die Umwelt und erzeugt… Widerhall.
Beispiele für Hexagramme, bei denen sich Dui aus Sun heraus entwickelt, finden Sie → hier.
Dui entwickelt sich aus Qian, dem Himmel
Qian, der Himmel, ist das Resultat eines inneren Wachstumsprozesses hin zu größtmöglicher persönlicher Vollständigkeit, einem Selbst voll Klarheit und Kohärenz. Doch während Qian noch monologisiert, eröffnet Dui den Dialog, öffnet die Grenze des Selbst und lässt das Außen, das Du, herein. So wird das Selbst (Qian) im Austausch mit der uns umgebenden Welt (Dui) lebendig.
Beispiele für Hexagramme, bei denen sich Dui aus Qian heraus entwickelt, finden Sie → hier.
Wohin entwickelt sich Dui?
Innerhalb eines Hexagrmms entwickelt sich Dui entweder zu Zhen oder zu Li (Ausnahme: das Hexagramm endet mit Dui / Dui ist oberes Trigramm).
Dui entwickelt sich zu Zhen, der Donner
Zhen, der Donner, entsteht, indem oben eine (durchbrochene) Yin-Linie angefügt wird (dunkler Pfeil; Yin symbolisiert Empfänglichkeit). Wenn man sich dem Außen, der Umwelt öffnet (Dui), wenn man sich von der Welt berühren lässt, bleibt dies nicht ohne Folgen: Ein Keim wird gelegt, etwas in uns beginnt in Resonanz mit der Umwelt zu schwingen. Diese Resonanz verdichtet sich, wird zur Antwort, zur Entscheidung und schließlich in entschlossener Handlung für alle sichtbar.
Beispiele für Hexagramme, bei denen sich Dui zu Zhen entwickelt, finden Sie → hier.
Dui entwickelt sich zu Li, das Feuer
Li, das Feuer, entsteht, indem oben eine (durchgezogene) Yang-Linie angefügt wird (roter Pfeil; Yang symbolisiert Tatkraft, Aktivität). Wir haben die Grenzen unseres Selbst erweitert und uns – mehr oder minder vorbehaltlos – der Umwelt geöffnet (Dui). Li ist die Instanz, die die Welt unterscheiden kann und Klares und Unklares voneinander trennt. So wird die eigene Öffnung gesteuert und später das, was in Dui als Wertvolles, Klares aufgenommen wurde, aufbereitet und integriert.
Beispiele für Hexagramme, bei denen sich Dui zu Li entwickelt, finden Sie → hier.
Referenz
Wandlungsphase (Element): Metall
Funktionskreis: Lunge (Lu)
Moderne Deutung
Öffnung, Berührung, Zulassen; Demut; Verbunden sein, inspiriert sein; Individuation; Rhythmus
Traditionelle Deutung
Freude und Heiterkeit, Idyll; emotionale Offenheit, Zuwendung, Unmittelbarkeit, unter-die-Haut-gehen; emotionale Tiefen; innen Yang (geistig), wendet sich nach außen (Yin): die Zauberin
Richtung: nach oben
Interpretation: Kontaktaufnahme mit der Welt; möglicherweise Selbstgefälligkeit, Verführung, Trägheit, gefährliche Tiefe, emotionale Verstrickung