Wofür steht Qian?
Qian entspricht dem Zenit unserer Möglichkeiten. Und verweist in diesem Sinne auf zweierlei: Zum einen auf eine Geisteshaltung, die ein hohes Maß an Klarheit und Kohärenz aufweist, die ungestört ist von Sorgen, Begierden und Gedankenschleifen. Zum anderen aber auch auf die Fähigkeit, diese innere Klarheit in Handlung in der Welt sichtbar werden zu lassen.
Wenn unser Geist klar ist, wenn wir ganz bei uns und zugleich eins mit unserem Ziel sind, werden wir zum Schöpfer: Die konstellierende Kraft unseres kohärenten Geistes, unser eigenes, lebendiges Bewusstsein, ist in der Lage, auf das uns umgebende unstrukturiertem Potential einwirken, es zu ordnen und es nach unserem Willen zu formen.
Dabei ist wichtig zu wissen, dass hier keinesfalls willentliches Handeln oder gar Aktionismus gemeint sind. Handlung im Sinne von Qian ist anders: Damit innere Klarheit in Handlung in der Welt sichtbar wird muss der Pfeil bereits im Ziel existieren…
Der klare und kohärente Geist wird zum Schöpfer
Ein klarer und kohärenter Geist ist das Ziel vieler spiritueller Übungswege. Allerdings ist dieses Ideal schwierig zu erreichen. Wie sehr, zeigt eine Beschreibung aus dem japanischen Bogenschießen Kyūdō. Der japanische Meister Hideharu Onuma hat hier drei Qualitäten des Treffens unterschieden:
- Toteki: Pfeil trifft das Ziel
- Kanteki: Pfeil durchbohrt das Ziel
- Zaiteki: Pfeil existiert im Ziel.
Für die erste Qualität reichen eine gute Technik und Bewegungsform aus. Für die zweite ist eine zielgerichtete Dynamik erforderlich. Bei der dritten Qualität steht vor dem Lösen bereits fest, dass der Pfeil trifft. Diese Qualität kann nur erreicht werden, wenn Körper, Geist und Technik zu einer Einheit verschmelzen.
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In Qian werden Körper, Geist und Technik also zur Einheit. Anders ausgedrückt: Alle unsere Kräfte, unser gesamtes Wesen, zieht an einem Strang, folgt einem gemeinsamen Willen, dem wiederum unsere innere Klarheit die Richtung weist…
In der Reihenfolge des späteren Himmels ist Qian dem Funktionskreis Herz (He) zugeordnet. Die passenden Zitate, die im entsprechenden Abschnitt der Seite Wandlungsphase Feuer: Herz zu finden sind, vertiefen, was unter Klarheit und Kohärenz zu verstehen ist.
Dem Weg der Wandlungen folgen: Welches Wort sage ich der Welt?
Im Modell Dem Weg der Wandlungen folgen repräsentiert Qian einen der beiden Ruhepunkte. In Qian ist unsere Begegnung mit der Welt vollendet, und zwar im Wissen um unsere eigene Selbstwirksamkeit: Ich weiß, dass ich ein von der Umwelt getrenntes Individuum bin – und ich weiß auch, dass ich als solches auf die mich umgebende Umwelt einwirken kann.
Im Sinne einer Selbsterkundung fragt Qian damit nach der Qualität unseres Weltverhältnisses, also wie wir in der uns umgebenden Welt verortet sind, wie wir mit ihr umgehen und wie wir ihr begegnen. Mögliche Fragen könnten beispielsweise lauten:
- Ist die Grenze, die mich definiert, gut und klar gezeichnet?
- Was macht mich aus? Was ist das Wort, mein Wort, das ich der Welt sage? Hört die Welt mich? Spreche ich es laut und verständlich?
- Bin ich mir bewusst, dass mein Handeln in der Welt Wirkung zeigt?
Woraus entwickelt sich Qian?
Bei den Wandlungen innerhalb eines Hexagramms bildet Qian insofern eine Ausnahme, als es nur aus einem einzigen Trigramm hervorgehen kann: Wenn Sun eine (durchgezogene) Yang-Linie angefügt wird, entsteht daraus Qian (roter Pfeil; Yang symbolisiert Tatkraft, Aktivität).
Qian entwickelt sich aus Sun, der Wind / Baum
Sun, der Wind / Baum, ist kraftvolles Vorwärtsdrängen aus dem eigenen Inneren heraus: selbstgewiss, unaufhaltsam, unerbittlich, einem unsichtbaren, ureigenen, perfekten Weg folgend. In Qian erreicht dieses Wachstum seine höchste Ausprägung: unser klares und kohärentes Selbst, unsere wahre Natur.
Beispiele für Hexagramme, bei denen sich Qian aus Sun entwickelt, finden Sie → hier.
Wohin entwickelt sich Qian?
Auch hier bildet Qian eine Ausnahme: Qian kann sich lediglich zu einem einzigen Trigramm weiterentwicklen. Dui entsteht, indem oben eine (durchbrochene) Yin-Linie angefügt wird (dunkler Pfeil; Yin symbolisiert Empfänglichkeit).
Qian entwickelt sich zu Dui, der See
Qian ist das Resultat eines inneren Wachstumsprozesses hin zu größtmöglicher persönlicher Vollständigkeit, einem Selbst voll Klarheit und Kohärenz. Doch während Qian noch monologisiert, eröffnet Dui, der See den Dialog, öffnet die Grenze des Selbst und lässt das Außen, das Du, herein. So wird das Selbst (Qian) im Austausch mit der uns umgebenden Welt (Dui) lebendig.
Beispiele für Hexagramme, bei denen sich Qian aus Dui entwickelt, finden Sie → hier.
Referenz
Wandlungsphase (Element): Feuer
Funktionskreis: Herz (He)
Moderne Deutung
Klarheit und Kohärenz; Leidenschaft, Spontanität; Wärme, Liebe; Spiritualität
Traditionelle Deutung
Stärke, Klarheit, Tatkraft, Entschlossenheit, Zielstrebigkeit, schöpferisch, klar, stark, geistig bewußt, entschieden, sich ausdehnend
Richtung: nach oben, außen
Interpretation: entwickelt sich möglicherweise eine zu große Macht nach außen, die ohne Rückhalt im Inneren ist