Ist in dieser Sache der Wurm drin? Wenn ja: welcher? Eine dynamische Entwicklung endet unvermutet mit einen Realitätscheck – warum? Eigendynamik, Momentum sind eigentlich positiv. Unangenehm wird es, wenn der Autopilot die Kontrolle übernimmt. Autopilot entsteht, wenn die Dynamik einer Situation nicht länger aus unserem eigenen Inneren kommt, sondern durch Fremdprägung bestimmt ist. Ein Realitätscheck ist da ganz heilsam: Will ich das, was momentan läuft, tatsächlich? Macht es Sinn? Entspricht es meinem Inneren – oder ist es Abbild eines fremden Lebens? Die Beantwortung dieser Fragen wird eine Entscheidung nach sich ziehen. Und wahrscheinlich muss man auch etwas loslassen: den Autopiloten, der bis vorhin noch gesteuert hat vielleicht?
Fragestellungen
- Eine Nutzerin stellt dem I Ging folgende Frage: „XY möchte keinen Kontakt mit mir, ganz abrupt und ohne Erklärung. Ich weiß nicht, was los ist und würde gerne verstehen, was ich jetzt zu tun habe. Einerseits ist in mir noch Hoffnung, dass er sich wieder bei mir meldet. Andererseits überlege ich auch, ob ich ihn ganz loslassen und mich neu orientieren soll.“ Die Antwort es I Ging lautet: 18 – Arbeit am Verdorbenen.
- Ein Nutzer schreibt von Problemen in der Familie, viel Herzeleid. Er fragt: „Was kann ich tun/ändern?“*
* Hier ist das Ursprungshexagramm 57 – das Sanfte. Die 5. Linie wandelt sich, zu Hexagramm 18 – die Arbeit am Verdorbenen.
Fallstudie
Das Schriftzeichen Gu, der chinesische Name des Hexagramms 18 – Arbeit am Verdorbenen, ist eine Schale voll Würmer, was an die deutsche Redensart „Da ist der Wurm drin“ denken lässt. Im älteren I Ging von Mawangdui wird das Zeichen 18 mit Ge bezeichnet, Stängel aus Bambus, Symbol für Biegsamkeit und Standfestigkeit.
In der von der Nutzerin geschilderten Situation ist also „der Wurm drin“. Dynamisches Wachstum (Sun, der Wind / Baum; erstes Trigramm) endet unvermutet mit einem Feedback im Außen (Dui, der See; erstes Kernzeichen).
Eigentlich hätte es doch immer so weiter gehen können. Wieso endet Sun, Wachstum, ein Prozess, ein Weg, so plötzlich? Was bestimmt dieses Ende? Die Beziehung der Nutzerin entwickelte sich gut, sie drängte dynamisch vorwärts, gewann Momentum – und wird plötzlich hinterfragt. Dui verweist auf einen Realitätscheck: macht das Geschehen für alle Beteiligten Sinn? Funktioniert es – oder eben nicht? Vielleicht hatte das Wachstum, Sun, eine Eigendynamik angenommen, die zumindest einem der Beteiligten nicht angenehm war?
Eigendynamik, Momentum ist eigentlich eine positive Eigenschaft von dynamischem Wachstum (Sun). Manchmal, wenn Eigendynamik zu Autopilot wird, kann sie aber auch unangenehm werden. Um diese unangenehme Ausprägung von Sun in einem Bild zu fassen: da entdecken zwei Menschen einen kleinen Karren am Wegesrand, machen ihn flott, freuen sich darüber und aneinander, schieben an, springen auf. Der kleine Karren rollt mit ihnen gemütlich die Straße entlang. Allmählich, ohne dass sie es recht bemerken, wird die Straße abschüssig. Der Wagen rollt schneller. Rechts und links des Weges tauchen Mauern auf, werden höher, die Straße wird enger.
Autopilot entsteht, wenn die Dynamik einer Situation nicht länger aus unserem eigenen Inneren kommt, sondern durch Fremdprägung bestimmt ist. Wir alle tragen diese fremden Prägungen in uns. Wir haben sie von unseren Eltern, von unserem Umfeld übernommen. Wenn wir uns aufmerksam beobachten, können wir sie wahrnehmen. Andernfalls übernehmen sie früher oder später die Kontrolle über unser Leben und wir sitzen irgendwann auf einem Karren, der eine enge Straße entlangsteuert – und haben keinerlei Kontrolle über das Geschehen.
Der Realitätscheck (Dui, der See; erstes Kernzeichen) ist heilsam. Will ich das, was momentan läuft, tatsächlich? Entspricht es meinem Inneren – oder ist es Abbild eines fremden Lebens? Vielleicht fühlt sich die Fahrt auf dem Wägelchen längst nicht mehr nach Freiheit und Ungebundenheit an, sondern nach Enge und Ausweglosigkeit.
Auf Dui, den Realitätscheck, folgt Zhen, der Donner (zweites Kernzeichen): Einer der Beteiligten springt vom Wagen, der auf Autopilot läuft, ab. Und hat plötzlich wieder Kontrolle über sein/ihr Leben.
Das Zeichen 18 – Arbeit am Verdorbenen endet mit Gen, der Berg (oberes Trigramm). Loslassen. Wenn man sich entscheidet (Zhen), dann scheidet man die Dinge – in das was ist und was man behält – und jenes was man loslässt (Gen). Fremde Prägungen loszulassen ist ein guter Anfang. Aus den klassichen Deutungstexten: „Infolge der Arbeit am Verdorbenen (18) kommt es zu einer Neuordnung.“
Beide Schriftzeichen des Hexagramms (Gu = eine Schale voll Würmer, Ge = Stängel aus Bambus) geben uns wichtige Hinweise: Einer Situation, in der der Wurm ist, begegnet man am Besten mit Flexibilität/Biegsamkeit – und bleibt sich dabei selbst treu (Standfestigkeit).
Die aktuelle Interpretation finden Sie hier: https://www.no2do.com/hexagramme/877887.htm