50 – der tiegel

Fallstudie

Ich vereinbare ein berufliches Treffen, um mich über das I Ging-Projekt und das psychologische Forschungsprojekt meines Gesprächspartners auszutauschen. Die im Vorfeld durchgeführte Befragung des I Ging ergibt das Zeichen 50 – der Tiegel.

Der Tiegel: Wenn ich mir einen Tiegel vorstelle und an den alchemistischen Prozess des Kochens denke, dann passt dieses Zeichen als Beschreibung unseres Gesprächs schon sehr gut: Denn wir mäandern zwischen europäischer und asiatischer Philosophie, psychologischen Modellen und Methoden, physischen und spirituellen Erfahrungsräumen und werfen nach und nach sehr unterschiedliche Zutaten in den gemeinsamen Topf unseres Gesprächs.

Am Anfang des Zeichens 50 – der Tiegel steht also ein kraftvolles, vielleicht sogar ungestümes Wachstum (Sun, der Wind / Baum als unteres Trigramm), aus dem sich eine klare Gestalt (Qian, der Himmel als erstes Kernzeichen) erhebt: unser gemeinsamer Wunsch, ein kohärentes Weltbild zu entwickeln.Qian, der Himmel, das erste Kernzeichen, ist ein relativ stabiler Punkt, ähnlich dem Erreichen eines Etappenziels. Übertragen auf die Gesprächssituation wäre es vielleicht die Lösung für eines Teilproblems, ein Puzzleteil, das im wilden Tanz des Erfahrungsaustausches seinen Platz findet.

Aber auch Qian wandelt sich weiter, öffnet sich wieder und wird zu Dui, der See (zweites Kernzeichen). Dui steht für Empfangen und Abgeben, die Erweiterung der eigenen Grenzen, um Neues hereinzulassen. Und während Qian monologisiert, eröffnet Dui den Dialog.

Das Zeichen 50 – der Tiegel endet in Li, das Feuer (oberes Trigramm), der Instanz, die das „Klare vom Unklaren“ trennt: Das in Dui Aufgenommene wird hier verarbeitet, das Unbrauchbares losgelassen und das „Klare“ in das eigene Weltbild integriert.

Und so verlief schließlich auch unser Gespräch: Wir berichteten uns gegenseitig von unseren Erkenntnissen, bewegten uns intuitiv und spontan auf unsichtbaren und doch scheinbar klar vorgezeichneten Wegen und versuchten gemeinsam, die weißen Flecken auf unseren jeweiligen Landkarten menschlicher Existenz zu füllen.

Debra Kaatz schreibt zu LE2 Xing Jian:

At Xing Jian… our delight of the world helps us to let go of old frustrations. Xing Jian means to act or walk quietly and leisurely through a gate filled with light…. Xing Jian means to walk through the gateway of moonlight that illuminates the dark. Kaatz 2005

Die aktuelle Interpretation finden Sie hier: https://www.no2do.com/hexagramme/877787.htm

Quellenverzeichnis

— Kaatz, Debra. 2005. Characters of Wisdom: Taoist Tales of the Acupuncture Points. The Petite Bergerie Press.