61 – innere wahrheit

Fragestellungen

  • Ein Nutzer hat folgendes Anliegen: „Warum kommt in mir dauernd die Frage nach dem Sinn meines Lebens hoch, wenn die Frage doch scheinbar keinen Sinn macht und ich mich nur im Kreis drehe?“ Die Antwort des I Ging: 61 – Innere Wahrheit.
  • Eine andere Nutzerin fragt, was ihr das kommende Jahr bringen wird. Die Antwort, Hexagramm 61 – innere Wahrheit, passt gut zu ihrer Lebenssituation, in der sie sich immer mehr von ihrer inneren Stimme, ihren Wahrnehmung führen lässt.
  • Eine Nutzerin schreibt: „Seit ca. zweieinhalb Jahren begegne ich immer wieder einem Mann. Wir fühlen uns einerseits auf besondere Weise voneinander angezogen, andererseits scheint es nicht der richtige Zeitpunkt für eine Partnerschaft zu sein. Es könnte sein, dass wir uns auf der körperlichen Ebene sehr leicht und unbeschwert begegnen und uns verbinden könnten, ich als Frau müsste nur das Signal dazu geben. Doch ich bin innerlich noch nicht bereit dazu. So viel Altes überschattet meine eigene freudvolle Energie, mir fehlt es an innerer Sicherheit.“
  • Eine Nutzerfrage lautet: „Wie komme ich bei der künstlerischen Arbeit in meine Kraft und habe wieder Freude daran?“

Fallstudie

Kaum hatte ich den Text für Hexagramm 62 – des Kleinen Übergewicht zu Ende geschrieben, erreichte mich auch schon die nächste Zuschrift (s. oben, Fragestellung 1): Was ist eigentlich der Sinn des Lebens? Unser Leben natürlich!
Dieses Leben, in das wir so oft hinausrufen, ohne dass uns tatsächlich völlig klar ist, was wir da von uns geben. Und von dem wir beständig Antworten erhalten, die uns zurückspiegeln, was wir ursprünglic!h gerufen hatten…
Die beiden Zeichen – 62 – des Kleinen Übergewicht und Zeichen 61 – Innere Wahrheit sind ebenfalls Spiegelbilder: der Yin-Strich des einen verkehrt sich in den Yang-Strich des anderen. In Zeichen 62 – des Kleinen Übergewicht geht es um Loslassen und die Rückbesinnung auf uns selbst, um aus dieser Position heraus zu wachsen und schließlich zu Handeln.
Zeichen 61 – Innere Wahrheit hingegen beginnt mit… Annehmen. Dui, der See, das erste Trigramm, bedeutet, die Grenze unseres Selbst zu öffnen und uns dem Wechselspiel von Aufnehmen (das Außen/die Umwelt dringt in unser Inneres) und Abgeben (wir drücken unser Inneres nach Außen hin aus) vertrauensvoll hinzugeben.
Dui ist zugleich das Yin-Trigramm der Wandlungsphase Metall, zu der auch der Funktionskreis (Meridian) Lunge gehört. Und unser Atmen ist die praktische Umsetzung des Prinzips Dui: aufnehmen und abgeben.
Die Lunge ist unser größtes Kontaktorgan (Hautoberfläche: 1,5 bis 2 m² vs. Oberfläche der Lungenbläschen: 80-120 m²), über das wir beständig mit unserer Umwelt kommunizieren. Unsere Lunge bildet eine Grenze zwischen uns und unserer Umwelt. Mit jedem Atemzug öffnen wir diese Grenzen, um nicht-Selbst in uns aufzunehmen, und mit jedem Ausatmen geben wir Selbst an Umwelt ab.
Und so wie unser Atem die Grundlage unseres Lebens ist, ist wohl das Einatmen und Ausatmen – im konkreten wie im übertragenen Sinne – der Sinn.
Zeichen 62 – des Kleinen Übergewicht beginnt mit Loslassen – und in Zeichen 61 – Innere Wahrheit haben wir wohl bereits losgelassen. Nun halten wir unsere leeren Hände bereit um… etwas Neues zu empfangen. Etwas, das uns idealerweise nährt und erfrischt, etwas, das uns mit lebensnotwendiger Substanz versorgt.
Je nach persönlichem Reifegrad sind wir dabei mehr oder minder vorbehaltlos. Beginner’s mind, die Haltung des Anfängers (oder Shoshin im Zen Buddhismus) fällt mir dazu ein: offen, neugierig, ohne jedes Vorwissen oder Vorurteil. Bereit, sich vollkommen auf das Studienobjekt einzulassen. Kinder haben diese Haltung manchmal – und spirituelle Meister.
Ja, was begegnet uns eigentlich da draußen im Leben? Allein dies wahrzunehmen macht schon ziemlich viel Sinn…
Aus Dui, sich öffnen, empfangen, wahrnehmen, erwächst im weiteren Verlauf des Hexagramms Handlung (Zhen, der Donner; erstes Kernzeichen) und Entscheidung. Und wenn man sich entscheidet, dann scheidet man die Dinge – in das was ist und was man behält – und jenes was man loslässt (Gen, der Berg, zweites Kernzeichen). Und so kommt man schließlich wieder zurück zu dieser innige Verbundenheit mit dem eigenen Selbst, aus der inneres Wachstum (Sun, der Baum/Wind; oberes Trigramm) entsteht.

In den I Ging-Texten, die 1972 in Mawangdui (China) gefunden wurden, wird dieses Hexagramm Zhong Fu – Rückkehr der Mitte – genannt. Man kann diesen Titel formal deuten: das Zeichen hat eine leere Mitte und ist somit eine Art Schwarzes Loch. Aber ich finde, auch in seiner bildhaften Bedeutung macht dieser Titel Sinn: die Rückkehr in unsere eigene Mitte.
Bildworte und Urteil hingegen helfen dieses Mal wenig dabei, das Hexagramm zu verstehen. Vielleicht liegt es daran, dass in manchen Hexagrammtexten geheime (weil revolutionäre oder kritische) politische Botschaften verklausuliert wurden.

Die aktuelle Interpretation finden Sie hier: https://www.no2do.com/hexagramme/778877.htm