41 – die minderung

Verschiedene Fragestellungen erreichten mich, die als Antwort jeweils Hexagramm 41 – die Minderung ergaben:

Fragestellungen

  • Eine Nutzerin stellt folgende Frage: „War das nur eine Gedanke… von mir.. oder habe ich wirklich seine Stimme gehört?“*
  • Ein anderer Nutzer möchte eine schöne Eigentumswohnung kaufen, ist sich aber noch nicht ganz sicher ob er es tun soll. Seine Frage an das I Ging lautet: „Was passiert wenn ich die Wohnung kaufe?“
  • Der Nutzer beschreibt sich als ein Mensch voller Blockaden. Allerdings begannen diese in letzter Zeit zu bröckeln. Seine Frage nun an das I Ging lautet: „Wie komme ich einer neuen beruflichen Vision näher?“
  • Eine Nutzerin fragt: „Wie kann ich meinen Lebensweg / Seelenweg erfüllen?“


* In diesem Fall ergibt die ursprüngliche Antwort des I Ging Hexagramm 19 – Annäherung, mit der zusätzlichen Variante 41 – die Minderung. Die beiden Hexagramme sind bis auf die oberste Linie identisch. Während Hexagramm 19 – Annäherung mit eine Yin-Linie (durchbrochen) endet, schließt 41 – die Minderung mit einer (durchgezogenen) Yang-Linie.

Fallstudie

Hexagramm 41 – Minderung beginnt mit Dui, der See als unterem Trigramm. Dui repräsentiert die Öffnung vom Innen ins Außen und vom Außen ins Innen. Es geht um die Grenze zwischen diesen beiden Polen und darum, sie zu überwinden. Konkret heißt das; äußere Inspirationen berührt unser Inneres und wir drücken unser Inneres nach außen hin aus.
Hören gehört zu diesen Bewegungen: Äußeres dringt in unser Inneres und berührt uns. Und auch im Atmen begegnen wir Dui: wir lassen etwas in uns eindringen – neue Atemluft – und geben uns diesem Eindringen vertrauensvoll hin. Um dann wieder etwas aus unserem Inneren – mit unserem Wesen durchtränkter Atem – an die Umwelt abzugeben. Vielleicht deutet die Unsicherheit der Nutzerin („war das seine Stimme?“) an, dass sie einen leichten Zweifel hegt, ob nun tatsächlich etwas aus der äußeren Welt ihr Inneres berührt hat.
Dui bedeutet ein vertrauensvolles Öffnen für die Inspiration der äußeren Welt, die uns un-vertraut, in gewisser Weise vielleicht sogar fremd ist. Aber gerade weil sie uns fremd ist, kann sie uns befruchten, nähren und erfrischen. Die ideale Haltung für Dui ist, mit leeren Händen bereit zu sein und zu empfangen, was da auf uns zukommt. Offenheit ist gefragt, Neugierde, die Bereitschaft, uns ohne jedes Vorwissen oder Vorurteil vollkommen auf das Un-Bekannte einzulassen. Kinder haben diese Haltung manchmal – und spirituelle Meister.
Aus Dui, sich öffnen, empfangen, wahrnehmen, erwächst im weiteren Verlauf des Hexagramms Entscheidung und Impuls (Zhen, der Donner; erstes Kernzeichen). Das, was uns begegnet ist, löst eine Veränderung in unserem Inneren aus. Etwas kommt in Bewegung, etwas keimt in uns und beginnt zu wachsen.
Diesem Impuls, Zhen, folgt nun eine Phase des Wachsens und Materialisierens (Kun, die Erde; zweites Kernzeichen). Dieses Wachsen geschieht in unserem Inneren, unsichtbar, und obwohl wir möglicherweise nichts davon bemerken, findet es doch statt. Nicht-Handeln. Wachsen lassen. Das ist meisten sehr schwierig für uns. Denn wir sind es gewohnt, Dinge zu tun, zu handeln, zu agieren. Aber nicht zu handeln während nichts passiert ist eine echte Herausforderung und verunsichert uns. Wenn wir jetzt genau beobachten, können wir vielleicht erkennen, was uns da verunsichert und was wir so gerne mit Aktionismus überspielen: negative Denkmuster Zweifel an uns selbst, vage Ängste. Warum halten wir an ihnen fest, wenn sie uns doch schwächen und schaden? Vielleicht weil sie uns vertraut sind und uns damit die Illusion von Sicherheit vermitteln.
Gen, der Berg als oberes Trigramm fordert uns auf, überflüssige Dinge und Denkmuster loszulassen. Das schafft Platz für Neues und setzt bisher blockierte Kräfte frei. Vielleicht geht es bei der Frage der Nutzerin gar nicht so sehr darum, ob die „Stimme“ nur aus ihrem eigenen Inneren oder dem Außenraum zu ihr gedrungen ist. Denn es geht um sie selbst und um den Prozess, der nun in ihr stattfindet. Welche Erschütterung hat das Erlebnis in ihr ausgelöst – und was wurde freigesetzt? Was gehört zu ihr, zu ihrem Wesen – und was sind alte, überflüssige Denkweisen, die sie behindern, und die es jetzt loszulassen gilt?

Anemone

Erschütterer – Anemone,
Die Erde ist kalt, ist nichts,
da murmelt Deine Krone
Ein Wort des Glaubens, des Lichts.

Der Erde ohne Güte,
der nur die Macht gerät,
ward Deine leise Blüte
so schweigend hingesät.

Erschütterer – Anemone,
Du trägst den Glauben,
das Licht, den einst der Sommer
als Krone aus großen Blüten flicht.
Benn, Gottfried

Erschütterer, Anemone… sind die Anfangsworte eines Gedichts von Gottfried Benn. Die Anemone kündet vom Frühling – inmitten eines kalten, grauen Landes. Eigentlich läge es näher, nicht an sie und an ihr Künden zu glauben. Aber sie existiert und  durch ihr Sein stellt sie die aktuellen Gegebenheiten in Frage. Das Urteil besagt, dass die Chancen gut stehen, etwas zu bewirken, solange der Fragende sich selbst treu bleibt und die eigenen Vorstellungen konsequent umsetzt: Wahrhaftigkeit [bringt] erhabenes Heil.

Die aktuelle Interpretation finden Sie hier: https://www.no2do.com/hexagramme/778887.htm